Herbst 2020 / Frühjahr 2021
Vorträge zur europäischen Kulturgeschichte
Wie wir wurden, was wir sind
Entwicklungslinien europäischer Kultur
Europa war nie eine Einheit, weder sprachlich, noch politisch. Die Völker Europas bestehen sehr auf ihrer Selbständigkeit; schließlich haben sie alle ihre eigene Kultur entwickelt.
Und doch sind eben diese Völker stolz auf einige kulturelle Errungenschaften, die sie als typisch europäisch betrachten. Das ergibt sich zum einen aus der Nachbarschaft verwandter Stämme mit gemeinsamen Traditionen, zum anderen aus dem griechisch-römischen Erbe, von dem sie alle mehr oder weniger geprägt sind. Ihnen allen ist das Christentum zur selbstverständlichen Religion geworden, mit deren jüdisch-orientalischen Wurzeln sie sich auseinandersetzen mussten und die sie auf je eigene Weise umgeformt haben.
Kultur erzählt vom Menschen, seiner Geschichte, seinen Ideen und Gefühlen. Überall, wo der Mensch seine Finger drin hat, entsteht Kultur – nicht immer schöne und gute, aber so vielfältig, wie Menschen eben sind. Sie entwickelt sich in langwierigen Prozessen, die mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Vorgängen Hand in Hand gehen. Zwei Beispiele: die Perserkriege , ein rein machtpolitisches Unternehmen, lösen in den – zunächst – Unterlegenen das Gefühl der Gemeinsamkeit aus, daraus wächst die Gleichwertigkeit aller im Eintreten für die Freiheit. Das führt sie zur Demokratie.
Das andere: Die christlichen Geistlichen bewahren das Erbe der Antike und geben es an die jungen europäischen Völker weiter; sie legen damit den Grundstock europäischer Wissenschaft, als Lehr- und Zuchtmeister zugleich. Aber erst, als das Denken die Vormundschaft der Theologie abgeschüttelt hat, können vor allem die Naturwissenschaften bahnbrechende Forschungen wagen.
Kultur wächst aus dem Versuch, die Fülle menschlicher Probleme zu bewältigen. Sie führt Menschen zusammen und macht Verständigung möglich.
Europa war nie eine Einheit und muss es auch nicht werden. Aber eine lockere Einigkeit auf der Basis seiner kulturellen Gemeinsamkeiten kommt allen zugute.
- Ursula Stock